Wer mir aufmerksam folgt, hat vielleicht schon mitbekommen, dass ich Angehörige einer Person mit #Behinderung bin.
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Oder wie im aktuellen Fall: Wir haben mit dem Genossenschafts-Vorstand gesprochen, versucht zu erklären, dass der Wert der Wohnung viel mehr ist als die Haltegriffe im Bad. Aber sie haben sich hinter Bürokratismus verschanzt und behauptet, sie wären uns ja eh schon sau arg entgegen gekommen. Ergebnis: Wir haben Schrank, Schreibtisch und die Küche verscherbelt. Eine Frau in Hamburg nahm einen Teil der Küche für einen Minimalbetrag und muss jetzt mehrere tausend Euro dafür bezahlen, dass sie kompliziert wieder bei ihr eingebaut wird. Wir vernichten Schlüssel im Wert von 1000€. (Das ist hier so ne Schließanlage, wo ein Schlüssel 100€ kostet und #Behinderung bedeutet halt auch, dass jeder Pflegedienst und Notrufservice und Nachbarn und alle Angehörigen einen Schlüssel brauchen, weil man vom Bett aus ja nicht mal eben die Tür öffnen kann.) Die Podeste haben wir verschenkt.
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Und damit kommen wir zum letzten Thema: #Behinderung kostet Geld. Viel Geld. Alles ist teurer, kostet extra. Wie, dass man mal eben 1000€ in Wohnungsschlüssel investiert. Oder für alle möglichen Fahrten ein Taxi braucht. Billig Urlaub machen? Geht nicht. Es muss ja ein Hotel sein, das behindertengerechte Zimmer anbietet. Umziehen bedeutet Umzugsdienst engagieren und Küchen und Schränke neu kaufen, weil die Spezialanfertigungen sich in der Regel nicht gut an andere Begebenheiten anpassen lassen. Beim Auszug selbst Streichen um Geld zu sparen geht natürlich auch nicht. Kleidung Second Hand kaufen? Keine Chance! Dafür nutzt sie sich schneller ab. Ein Gebrauchtmarkt für #Hilfsmittel ist quasi nicht vorhanden. Putzen kann man auch nicht selbst aber der Zuschuss von der Kasse reicht absolut nicht für eine Reinigungskraft.
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Dauernd zahlt man auch Dinge, die man erstatten lassen könnte, weil der Zeitaufwand der Erstattung viel zu hoch ist (siehe 2). Oder man bekommt nur das Hilfmittel, das nicht funktioniert und muss sich dann halt selbst das kaufen, was klappt. Ich könnte hier noch ewig weiter aufzählen. Genau deshalb hat es uns so geschmerzt, eine so perfekt eingerichtete Wohnung komplett rückbauen zu müssen (außer den Haltegriffen im Bad, die meine Mutter eh nicht wirklich brauchte). Und deshalb ist es so übel, dass man Assistenz erst vom Sozialamt erstattet bekommt, wenn man kein Geld mehr hat. Womit wir beim nächsten Problem wären:
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Meine Mutter hat ihr ganzes Leben lang alleine gewuppt. Pflegedienste decken ja nur körperliche Pflege ab. Bett frisch beziehen wenn mal mit der Inkontinenz was schief ging gehört nicht mehr dazu. Sie hätte von Anfang an Anspruch auf eine Assistenzkraft gehabt. Sie hätte damals 1999 erklären können, dass sie nicht mehr arbeitsfähig ist. Dann hätte sie Rente bezogen und Anspruch gehabt, dass ihr das #Sozialamt eine #Assistenz finanziert. Damit hätte sie den Steuerzahler mal locker 10.000€ pro Monat gekostet. Das wären bis heute 3 Millionen Euro gewesen. Stattdessen hat sie sich entschieden weiter zu arbeiten und alleine (mit Hilfe ihrer Töchter) zurecht zu kommen. Das heißt, sie hat zusätzlich noch jede Menge Steuern eingezahlt, statt Kosten zu produzieren. Aber sie hatte einen Horror davor, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Denn die reicht für ein würdevolles Leben mit #Behinderung einfach hinten und vorne nicht (s.o.).
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Also hat sie gearbeitet und jeden Cent den sie nicht in ihre Kinder oder die #Behinderung gesteckt hat, fürs Alter gespart. Und mit welchem Ergebnis? Als sie dann mehr Hilfe gebraucht hätte wurde uns erklärt, sie müsse zunächst ihr Vermögen verbrauchen, ehe sie den Antrag ans Sozialamt stellen könne. Würdiges altern papperlapapp. Erst #Existenzminimum, dann Unterstützung. 10.000€ lassen sie einem. Der Betrag wurde kürzlich erst noch weiter gesenkt. So hat der Staat es meiner Mutter also gedankt, dass sie ihm nicht seit 25 Jahren auf der Tasche gelegen, sondern selbst fürs #Alter vorgesorgt hat. Sie muss die Assistenz so lange selbst bezahlen, bis ihre #Vorsorge futsch ist und dann eben doch am Existenzminimum leben. Na dann hätte sie das Geld ja besser gar nicht erst angespart. Das hat dermaßen ihre Lebensleistung infrage gestellt, dass sie es nicht eingesehen und sich weiter alleine abgekämpft hat. Und daran rapide kaputt ging.
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Dass der Staat ihr nicht die sauer ersparten 70.000€ lassen wollte, will mir bis heute nicht in den Kopf. Wo sie ihm doch mehrere Millionen gespart hat.
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Macht euch das mal klar: Wer #Assistenz braucht, muss das beim Sozialamt beantragen (denn das ist schweine teuer und das zahlt man nicht mal selbst aus der Portokasse). Das bedeutet, wer Assistenz braucht, darf nie ein Vermögen größer als 10.000€ ansparen. Denn dann zahlt ja das Sozialamt nicht mehr. Das heißt, man kann sich nie ein Auto kaufen (Gebrauchtsmarkt siehe oben) oder auf einen Umzug sparen. Das ist ein Witz. Und absolut unwürdig. DAS ist #Ableismus. DAS müsste skandalisiert werden!
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Zuletzt noch mal was Positives: Während man damit befasst ist, sich dauernd über die vielen Ungerechtigkeiten und systematischen Gemeinheiten zu ärgern, darf man die Dankbarkeit auch nicht vergessen. Ja, das System ist scheiße. Aber immerhin gibt es ein System, das Menschen mit #Behinderung auffängt und unterstützt. Ohne Krankenkassenleistungen und Krankenhäuser und Pflegedienste hätte meine Mutter dieses Jahrhundert nicht erlebt und keines ihrer Enkelkinder kennen gelernt. Wir können verdammt froh sein, dass wir überhaupt ein #Gesundheitssystem haben. Das merkt man gerade dann am meisten, wenn man es so dringend braucht. Vor allem bin ich dankbar, wie viele Ärzte und Ärztinnen es gibt, die so viel tun und sich einsetzen und erreichbar sind und Dinge verordnen und geduldig sind. Das ist so viel wert und so wichtig.
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@reticuleena
Das kann ich nur bestätigen. Ich habe viele Jahre als Integrationshelfer und Assistent gearbeitet. Leider bin ich inzwischen der Überzeugung, dass die Bürokratie und das ewige Pingpong zwischen Amt, Kassen und Antragsteller mehr Geld kostet als wenn man jeden Wunsch gleich bewilligen würde. -
Bin völlig bei Dir!
Ich habe da nur einen Hinweis zu Deinem Satz "..Pingpong zwischen Amt, Kassen und Antragsteller mehr Geld kostet als wenn man jeden Wunsch gleich bewilligen würde."
Es ist kein "Wunsch", der bewilligt wird. Genau dieser falsche Term ist es, was in unserer Gesellschaft so "haften" bleibt und zu ableistischen Gedankenzügen + Äußerungen uns MmB gegenüber führt:
Wir MmB beantragen ja nicht Hilfsmittel/Assistenz, weil es unser "Wunsch" ist,
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@reticuleena